Joseph-Gruppe mit dem Obermayer Preis 2018 ausgezeichnet
Die Obermayer Foundation zeichnet im Rahmen der German Jewish History Awards (Deutsch-jüdischer Geschichtspreis) alljährlich Einzelpersonen oder Organisationen für ihre Arbeit, die in herausragender Weise zur Bewahrung oder Wiederbelebung jüdischer Geschichte und Kultur und damit auch zur interkulturellen Versöhnung beigetragen haben, aus.
2018 wurden wir, die „Joseph-Gruppe“ – Simon Strauß, Fabian Herbst, Simon Warnach, Pia Sösemann, Dorothea Ludwig und Schirmherr Albrecht Hoppe, mit dem German Jewish History Award ausgezeichnet. Wir sind unendlich dankbar für diese ehrenvolle Auszeichnung.
Unsere Dankesrede:
„Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Mitglieder der Familie Obermayer, verehrte Margot Friedländer.
Es gibt ein Kinderbuch, das mir nah am Herzen liegt und das ich immer wieder aus Trotz und zum Trost lese: „Matti und sein Großvater“ heißt es, ist geschrieben von Roberto Piumini und illustriert vom wunderbaren Quint Buchholz. Es geht darin um einen Großvater, der im Sterben liegt und um seinen Enkel Matti, wie der am Totenbett steht und sich an die vielen Spaziergänge mit ihm erinnert, an all die Dinge, die er von ihm bei den gemeinsamen Gängen entlang eines sonnigen Flussufers gelernt hat. In Mattis Fantasie unternehmen die beiden noch einen letzten Gang, erleben dabei allerhand Aufregendes und der Großvater erzählt so mitreißend, dass Matti gar nicht bemerkt, wie er dabei immer kleiner wird. Immer kleiner und kleiner, bis er schließlich ganz verschwindet. Der Großvater stirbt und alle weinen, nur Matti behält ein stilles Lächeln auf den Lippen, denn er weiß, dass er ihn nie verlieren wird. Er muss nur an ihn denken, an seinen einladenden Gang und seine aufrührenden Geschichten, und schon laufen sie wieder nebeneinander am Fluss. Das Vergessen wohnt dort unten, im alles zerfließenden Wasser – Lethe wie die alten Griechen sagten – aber hier oben, am Ufer hält sich die Erinnerung. Siegt der stille Gedanke über den schreckenslauten Tod.
Auch unser Großvater ist gestorben, meine Damen und Herren. Vor ein paar Jahren haben wir hier in Berlin auf dem Jüdischen Friedhof Heerstraße Steine auf das Grab von Rolf Joseph gelegt. Wir, seine angetrauten Enkelinnen und Enkel, wir, die „Rolf-Joseph-Gruppe“, die sich zusammengetan hat, um sein Leben, seine Geschichte, weiterzutragen. Um uns und andere an ihr zu schulen, uns zu schützen auch, vor leichtfertiger Rede über das, was zum Schrecklichsten gehört: der in Auftrag gegebene Mord, die Auslöschung eines ganzen Menschheits-Teils.
Die Geschichten, die Rolf Joseph aus seinem Leben erzählte, das ihm widerfahrene Unrecht, die Verzweiflung und Demütigung, die er erfahren hat, haben mich für immer geprägt. Und mir eindeutig werden lassen, dass nur die Erinnerung, der Gang in Gedanken mit ihm am Ufer entgegen der Vergessenheit, uns und unsere Zeit schützen kann. Denn: Bei der Beschäftigung mit dem Holocaust gibt es keine leichte Sprache. Keine Gewissens-Abkürzung. Man muss sich ausliefern. Immer wieder aufs Neue. Keine Seminarstunde, keine Hollywood-Produktion wird einem je das Gefühl geben können, das Thema erschöpfend behandelt zu haben. Und wenn man einen Menschen wie Rolf Joseph innig gekannt hat, dann weiß man auch, wie viel es noch zu erzählen gibt. Wie viele Schicksalsgeschichten in unserem Land noch auf ihre Entdeckung warten. Deshalb wollen wir Rolf Joseph der nächsten Generation vorstellen, sie gewissermaßen zu seinen Urenkeln machen. Der Schülerwettbewerb, den wir 2012 gegründet haben und in diesem Jahr erstmals in Zusammenarbeit mit der „Jugend schreibt“-Seite der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ durchführen, prämiert Projekte von Schülerinnen und Schülern, die sich mit dem Thema „Jüdisches Alltagsleben- damals und heute“ auf kreativ-eigensinnige Art und Weise beschäftigen. Ein Dokumentarfilmclip, eine Ausstellung, ein Zeitzeugeninterview oder eine Tanzaufführung – wir freuen uns auf Beträge jeder Art. Nur eines müssen sie sein: Ehrlich gemeint und so, dass sie Herrn Joseph gefallen hätte. Und ihm hat sehr viel gefallen – vom Herthaheimsieg bis zum scheckigen Bundesverdienstkreuzbandel. In der FAZ werden dann die drei besten Einsendungen abgedruckt beziehungsweise auf der Website ausgestrahlt oder dokumentiert. Wir hoffen sehr, dass viele Schulen in Deutschland von unserem Preis erfahren, dass sich engagierte Lehrerinnen und Lehrer finden, die ihre Klassen animieren und wir im Juni vor einem riesigen Wäschekorb voller Geschichten stehen, die alle darauf warten erzählt und veröffentlicht zu werden. Meine Damen und Herren: Wer in der Erinnerung lebt, ist niemals tot – Rolf Joseph ist uns heute so nah wie eh und je, er ist ein lebendiger Wegweiser, der uns die Richtung vorgibt und uns vor Ermüdung, Leichtfertigkeit oder gar Ignoranz bewahrt. Mit ihm zusammen gehen wir am Ufer des Flusses und freuen uns über Begleitung. Durch den Preis, den wir heute von Ihnen erhalten, liebe Obermayer Foundation, wächst auch die Zahl der Ufergänger- und dafür danken wir Ihnen von Herzen!“