Auf unserem Lehrplan in der neunten Klasse am Evangelischen Gymnasium zum Grauen Kloster Berlin stand das Thema „Judentum“ und so besuchten wir im Jahr 2003 mit unserer Klasse einen jüdischen Gottesdienst in der Synagoge Pestalozzistraße. Dort trafen wir Herrn Joseph zum ersten Mal. Er kam nach dem Gottesdienst auf uns zu und bot an, zu uns in die Schule zu kommen und seine Geschichte zu erzählen: Wie er als Berliner Jude die Herrschaft der Nationalsozialisten überlebte, wie er sich jahrelang versteckte und wer ihm geholfen hatte.
So kam es, dass er kurze Zeit später in unserer Klasse saß und von seinem Leidensweg erzählte, unterstützt durch handgeschriebene Notizzettel, um nicht den Faden zu verlieren. Die ganze Klasse war sehr berührt davon, diesem Mann gegenüberzusitzen, der all dies Schreckliche wirklich erlebt hatte. Das hatte nichts mit dem Lernen aus Schulbüchern zu tun, wie wir es sonst kannten. Wir merkten, dass er seine Geschichte schon viele Male erzählt hatte, und dennoch blieb das Gefühl, nicht alles erfahren zu haben. Zu kurz und unvorstellbar erschien dieser Vortrag.
In der nächsten Religionsstunde waren wir noch tief beeindruckt von der Begegnung und es entstand die Idee, Herrn Joseph weiterhin zu treffen, mehr zu erfahren und seine Geschichte in einem Buch niederzuschreiben.
Also trafen wir uns. Zuerst nur wir Schüler, um zu planen und zu koordinieren. Und dann mit Herrn Joseph. Bei ihm zu Hause, im Café, in seinem Garten. Er erzählte und wir hörten zu. Und langsam entlockten wir ihm auch immer mehr neue Informationen und Erinnerungen. Es dauerte vier Jahre, in denen wir zuhörten, Fragen stellten, Aufzeichnungen abtippten, ausformulierten und umformulierten, bis aus uns sechs Schülern die „Joseph-Gruppe“ und aus unserer Idee ein Buch wurde. Es entwickelte sich eine Beziehung zu Herrn Joseph, die der eines Großvaters zu seinen Enkeln glich.
Das Buch konnten wir im Dezember 2011 veröffentlichen und Herrn Joseph bei einem Abend zu seinen Ehren vor 200 Gästen in der Aula des Grauen Klosters präsentieren.